Kleiner Parteitag der „Grünen“ in Neumünster ganz groß!?

Ein Kommentar von Dirk Werner

Die schleswig-holsteinischen Grünen haben gestern in Neumünster auf einem kleinen Parteitag über die mögliche Zwischenlagerung von Atommüll am AKW Brunsbüttel diskutiert und abgestimmt. Vor der Abstimmung sollte noch „schnell“ ein Meinungsbild gefunden werden und dann über die Bedingungen einer evtl. Zwischenlagerung der Castoren aus Sellafield und La Hague abgestimmt werden. Im Saal hingen viele Grüne Flaggen mit Atomkraft abschalten/Nein Danke und Brokdorf jetzt abschalten. Die Stimmung war angespannt und viele BesucherInnen aus dem Umland waren erschienen. Auch einige Aktive aus verschiedenen Initiativen wie Karsten Hinrichsen aus Brokdorf, Bettina und Gerhard Boll aus Geesthacht, Dirk Werner aus Lüneburg kamen unaufgefordert nach Neumünster.

Im Verlauf des Abends stellten sich dann vor allem Robert Habek und Rebecca Harms aber auch Jochen Stay und Dirk Seifert als „WortführerInnen“ der gesamten Widerstandsbewegung vor. Jochen Stay benannte die Fronten klar, laut Stay lehnen die Anti-Atom-Initiativen die Rücknahme der Castoren aus dem Ausland vorerst ab: „Zwischen Habecks Position und der Anti-Atom-Bewegung liegen Welten.“ Auch er stellte die alte grüne Forderung: „Vor einer Rücknahme müsse das AKW Brokdorf stillgelegt werden“. Stay bekam lang anhaltenden Beifall, von den Grünen und vor allem von den Gästen. Der dann im Laufe des Abends gestellte Änderungsantrag, der das „Aus für Brokdorf“ bedeuten sollte, wurde von der Mehrheit der anwesenden Grünen allerdings abgelehnt! Auch alle weiteren kritischen Anträge wurden trotz anfänglichen Beifalls komplett abgelehnt. Im Antrag hieß es z.B.: ..“umso wichtiger ist es, mit höchsten Anforderungen an die Sicherheit die Auswahl der Zwischenlager zu treffen und zu gewährleisten, dass kein Atommüll durch den Betrieb der Atomkraft produziert wird„.

Robert Habek und seine AnhängerInnen argumentierten immer wieder dagegen: Eine Stilllegung Brokdorfs sei binnen Wochen nicht möglich und eine konkrete Castorenzahl für Brunsbüttel nicht sinnvoll. Habek erinnerte nochmals an die große Verantwortung, die Deutschland als Verursacher des radioaktiven Abfalls habe. Die Landesregierung von SPD, Grünen und SSW hatte sich grundsätzlich bereit erklärt, Atommüll in Schleswig-Holstein zwischenzulagern. Dies war jedoch an mehrere Bedingungen geknüpft, wie die Beteiligung anderer Länder und eine neue Sicherheitsprüfung. Er drohte regelrecht mit dem Schwert der „Verantwortung“ und dem „historischen Moment“. Um ein positives Votum zu erreichen, polarisierten dann viele grüne Rednerinnen mit den Begriffen „Verantwortung“ und „historische Chance“. Einige sortierten dann die Anwesenden regelrecht in enge Schubladenfächer: wie „tatenlosen NeinsagerInnen“ und „handelnde JasagerInnen“! Mit Erfolg – trotz reichlich Ratlosigkeit und viel Angstschweiß folgten die Delegierten am Ende Habek deutlich (25 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen) und unterstützten damit den Kurs der Landesregierung. Die Delegierten klatschen, wir Anti-AKW-Gäste nicht.

Dirk Seifert plädierte mit einer flammenden Rede für mehr Bürgermitbestimmung, mehr Zeit bei diesem Verfahren und einer echten Zusammenarbeit von Grünen mit allen Initiativen. Ein guter Impuls von Seifert! Ich sehe das so: Versteht man schon den „kleinen Parteitag“ als ersten Schritt eines gesellschaftlichen Dialogs, muss ich feststellen, dass hier tatsächlich betroffene Antiatom Initiativen (BI Lüchow-Dannenberg, BI Schacht Konrad und Asse) fehlten – Karsten Hinrichsen aus Brokdorf war beispielsweise gar nicht eingeladen. Das darf nicht passieren. Einige Delegierte, vor allem aus Dithmarschen und Steinburg beklagten, dass Habek Schleswig-Holstein ohne Rückkopplung der Basis als Zwischenlager angeboten habe. Zur Basis gehören für mich aber auch alle vom Atommüll betroffene BürgerInnen und ihre Initiativen. Das ist doch keine Frage, die Schleswig-Holstein jetzt mit sich selbst zu klären hat. Der Vorstand handelte also ohne Absprache mit seinen Verbündeten und bürdete damit allen TeilnehmerInnen einen enormen Zeitdruck auf.

Im Verlauf der Debatte zeigte sich dann auch deutlich, dass es bei elementaren Fragen zu den Atommüllproblemen an einem echten Austausch mit allen Beteiligten mangelte – hier herrschten sogar große Wissenslücken! So beschworen viele RednerInnen in dieser Runde tatsächlich den Glauben an eine sichere Endlagerung in ferner Zukunft! – Dem gegenüber stand zum Glück die schlichte Aussage von Bettina Boll (Geesthacht/Krümmel), die den Begriff „dauerhafte Zwischen-End-Lagerung“, die ja bereits überall üblich ist, ins Spiel brachte und so vor der wichtigen Abstimmung  starke Emotionen und viel Ratlosigkeit auslöste.

Seit den Atommüllkonferenzen in Kassel haben die Antiatom-Initiativen den schwammigen Begriff der „Bürgerbeteiligung“ am Beispiel Schweiz konkretisiert (Vetorecht, eigene Gutachter, unabhängige Finanzmittel u.s.w.) und dort wurde viel über die Rückholbarkeit und längst praktizierte Zwischen-End-Lagerung diskutiert. Von diesem Wissen könnten auch die Schleswig-HolsteinerInnen profitieren. Eines wurde gestern doch sehr deutlich – der Zeitdruck und die vielen ungekärten Fragen spalten uns! Die längst überfällige Einladung an alle Initiativen durch Robert Habek steht nun im Raum, wird wohl zu weiteren Kontroversen und Fragen führen. Wir sollten dort, ohne Schubladendenken und ohne Zeitdruck, gemeinsam unsere Wissenslücke auffüllen um zukünftig eine gemeinsame Widerstandsbewegung darzustellen.

Wer es noch nicht gemerkt hat: Der Dialog ist bereits in vollem Gange!

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