Rückbau von Atomanlagen ein Thema, dass plötzlich in aller Munde ist, spätestens nach dem Vorstoß der Energieversorger, die Kosten und Risiken auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
1. Festlegung der Stilllegungsstrategie
Der erste Schritt im Stilllegungsverfahren ist die Festlegung der Stilllegungsstrategie. Zwei Optionen und eine Mischform sind hier zu prüfen – „Sicherer Einschluss“ versus „sofortiger Rückbau“. Beide Bezeichnungen sind dabei irreführend – weder ist der „sichere Einschluss“ besonders sicher, noch beginnt der „sofortige Rückbau“ sofort.
Bei der ersten Variante werden alle Zu- und Abwege zum Reaktor verschlossen und dieser in einen wartungsfreien Zustand überführt. So können dann Nuklide mit einer kurzen Halbwertszeit abklingen. Die Strahlenbelastung, insbesondere auch für die Arbeiter, wird dadurch reduziert. Da derzeit völlig unklar ist, wohin mit dem strahlenden Müll und wie er später „verpackt“ werden soll, gewinnt man so zusätzlich an Zeit, für eine vernünftige, bedachte Suche nach einem Endlager. Der eigentliche Rückbau erfolgt erst in mehreren Jahrzehnten. Derzeit befindet sich z.B. AKW Lingen I im sicheren Einschluss. Beim sofortigen Rückbau wird nach einer mehrjährigen Genehmigungsphase mit dem Rückbau begonnen, ohne die Abklingzeit der kurzlebigen Nuklide abzuwarten.
Schon vor Beginn des Dialogprozesses hatte sich die HZG für diese Stilllegungsvariante entschieden. Die Anti-Atom-Bewegung fordert für jeden Standort eine spezifische, individuelle und nachvollziehbare Entscheidung für die jeweilige Stilllegungsvariante.
Die Begleitgruppe hatte deshalb gleich zu Beginn des Dialogprozesses die Begutachtung des Antrages durch den neutralen Gutachter Wolfgang Neumann gefordert. Aufgrund dessen Ergebnissen hat dann die Begleitgruppe dem Stilllegungsantrag zugestimmt. Hauptargument war dabei, dass der Atomforschungsreaktor in Geesthacht –im Gegensatz zu Leistungsreaktoren– kein geschlossenes Containment hat – es gibt hier keinen Reaktordruckbehälter sondern der Reaktor „schwimmt“ in einem Schwimmbecken. Damit ist es ohne größere Umbauten nicht möglich, die Anlage in einen „sicheren Einschluss“ zu überführen. Ob gegebenenfalls ein Teileinschluss des Reaktorbeckens sinnvoll wäre, wird noch geprüft.
2. Entfernung der Kernbrennstoffe
Vor Beginn der eigentlichen Rückbaumaßnahmen muss die Anlagen kernbrennstofffrei sein. Das ist eine zentrale Forderung der Anti-Atom-Bewegung, die leider z.B. beim Rückbau des AKW Obrigheim nicht umgesetzt ist. Hier liegen die Brennelemente noch im Nasslager, während auf dem Gelände schon der Rückbau läuft.
Der Atomforschungsreaktor in Geesthacht ist bereits seit dem 24. Juli 2012 kernbrennstofffrei. Die letzten Brennelemente wurden über Nordenham an das US Department of Energie geliefert. In der Anlage Savannah River Site in South Carolina. Hier befindet sich eine Anlage zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen aber auch eine wichtige US-Atomwaffenschmiede. Eine Studie von 2007 belegt, dass Mitarbeiter von Savannah River Site signifikant häufiger an Lungenkrebs und Leukämie erkranken als die Normalbevölkerung (http://www.cdc.gov/niosh/oerp/savannah-mortality/). Was mit den Brennelementen der HZG konkret geschieht, entzieht sich derzeit unserer Kenntnis. Aber hier sehen wir im weiteren Dialogprozess die Notwendigkeit, dass die HZG Verantwortung für ihre Hinterlassenschaften übernimmt. Weitere Brennelemente wurden in früheren Jahren in die Wiederaufarbeitungsanlage Dounreay transortiert. Dort lagern die flüssigen, radioaktiven Reststoffe bis heute in einem unterirdischen Tank. Als Konditionierungsverfahren ist eine Zementierung in 560 Liter Fässern vorgesehen. Die Rücklieferung nach Deutschland muss zwischen 2018 und 2022 abgeschlossen sein.
3. Genehmigungsverfahren
Derzeit läuft das Genehmigungsverfahren für die Stilllegung. Zuständige Behörde ist hier das MELUR in Kiel. In einem etwa 3-5 Jahre dauernden Verfahren werden die eingereichten Pläne geprüft. Als externe Gutachter wurde der TÜV Nord SysTec vom Land Schleswig Holstein beauftragt. Im Beantragungsverfahren für die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung (SAG) ist eine Bürgerbeteiligung vorgesehen. Allerdings lässt das Gesetz auch eine Aufteilung in mehrere SAGen zu. In diesem Fall ist eine Bürgerbeteiligung nur für die 1. SAG notwendig. In Obrigheim hat das dazu geführt, dass in der 1. SAG, nur relativ oberflächlich, die geplanten Arbeitsschritte beantragt wurden. Es gibt keine radiologische Charakterisierung und keine Störfallszenarien. Für die derzeit laufende 2. SAG gibt es keine Bürgerbeteiligung. Dagegen klagt die BI vor Ort.
Infos: www.atomerbe-obrigheim.de
Im Stilllegungsverfahren für die HZG-Anlagen hat diese keine Aufsplittung in mehrere SAG-Anträge vorgenommen.
4. Rückbau, Konditionierung, Freimessung
Liegt dann die atomrechtliche Genehmigung vor, können die eigentlichen praktischen Arbeiten beginnen – und damit die Punkte, bei denen es gefährlich wird. In Geesthacht wird es bis dahin vermutlich noch mindestens drei Jahre dauern. Im Rahmen des HZG-Dialoges nähern wir uns gerade langsam den Detailfragen.
Der Atommüll muss für die Endlagerung verpackt und dafür vorher behandelt werden, um das Volumen zu reduzieren. Man spricht dabei von Konditionierung. Aber ist wirklich jeder Arbeitsschritt sinnvoll, notwendig und sicher? Wir denken: Nein. Durch die Konditionierung werden zig Atomtransporte mit den damit verbundenen Unfallrisiken notwendig. Mit dabei auch so wahnwitzige Unterfangen, wie den strahlenden Stahlschrott ins schwedische Studsvik zu verschiffen. An den Standorten mit Konditionierungsanlagen kommt als besonderes Problem hinzu, dass mit dem Abriss einer so großen Zahl von Atomanlagen auch große Mengen zu konditionierender Müll entstehen.
In Duisburg hat die GNS eine Genehmigung, 3300 Tonnen Atommüll jährlich zu bearbeiten – und das 100 m vom nächsten Supermarkt, 200 vom nächsten Mehrfamilienhaus, 400 m vom nächsten Kindergarten.
Infos: www.duisburg-atomfrei.de
In Braunschweig entsteht bei der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec ein europaweites Zentrum zur Verarbeitung von Atomabfällen. Im Jahr 2010 befand sich etwa das 15-fache des Strahlungsinventars der Asse auf dem Betriebsgelände von Eckert & Ziegler. Wie in Duisburg alles in Nähe eines Wohngebietes und direkt neben Schulen, Kindergärten und einem Jugendzentrum. Die Direktstrahlung am Zaun in Braunschweig darf 15fach höher sein als die am Zwischenlagerzaun in Gorleben. Die zulässigen Ableitungswerte der Anlagen in Braunschweig für Americium und Jod sind übersteigen die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung um das 250 bzw. 500-fache.
Infos: www.biss-braunschweig.de
Ziel von LAgAtom im Rahmen des HZG-Dialogs wird es sein, die Atomtransporte in externe Konditionierungsanlagen auf ein Mindestmaß zu reduzieren und damit das Unfallrisiko und die Strahlenbelastung von Anwohnern von Konditionierungsanlagen zu minimieren.
Aber der Großteil des beim Rückbau entstandenen Mülls soll gar nicht konditioniert und als Atommüll behandelt werden. Mit Hilfe der sogenannten „Freimessung“ nach der Strahlenschutzverordnung wird ermöglicht, dass aus Atommüll „normaler“ Müll wird, der dann dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz unterliegt. Er kann dann, je nach der Höhe der radioaktiven Belastung, auf Deponien gelagert oder als Müll verbrannt werden oder zur freien Verwertung in den Wirtschaftskreislauf zurückkehren. Unter der damaligen Umweltministerin Angela Merkel wurde diese Möglichkeit 2001 in die Strahlenschutzverordnung aufgenommen. Ziel war es die Probleme der Betreiber bei der Entsorgung zu reduzieren und Kosten minimieren. So gibt E.On beispielsweise zu, dass die Möglichkeit, Metallschrott zu rezyklieren, statt ihn als Atommüll zu behandeln, eine Ersparnis von 4 Milliarden Euro bringt. Aber mit welcher Konsequenz? Im Rahmen des Rückbaus von Atomanlagen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zigtausende Tonnen von leichtstrahlenden Materialien in die Umwelt entlassen. Im Falle der HZG rechnet der Betreiber mit 33.900 Tonnen. Darunter ist der Bauschutt des Bürogebäudes – aber auch Materialen aus dem Kontrollbereich, der zunächst gewaschen und geputzt werden muss, um die Kontamination unter den Grenzwert zu bekommen.
Dieser Grenzwert ist in der Fachwelt äußerst umstritten. Das zugrunde liegende 10-μSv-Konzept geht davon aus, dass auf 100 Millionen Menschen (männlich, erwachsen, gesund!), die ein Jahr lang dieser Strahlung ausgesetzt werden, 10 zusätzlich Krebstote pro Jahr zu beklagen sind. Materialien, die diesen Wert nicht überschreiten, dürfen nicht freigegeben werden. Die Inkaufnahme von 10 Toten ist schon für sich zynisch, jedoch kommen moderne Studien zu deutlich höheren, prognostizierten Sterberaten und heben zusätzlich die anderen aus der Strahlenbelastung resultierenden, nicht tödlichen Erkrankungen hervor (mehr im Strahlentelex Nr.662-663).
Insbesondere kritikwürdig ist zudem die unbeschränkte Freigaberegelung, bei der es nicht einmal vorgeschrieben ist, was mit den Materialien geschehen soll, noch wo sie verbleiben. So ist im Nachhinein in keiner Weise nachvollziehbar, ob z.B. auf der Deponie X schon leichtstahlender Müll aus AKW Y lagert, wenn der AKW-Betreiber Z seinen oben draufwerfen will. Die Strahlenbelastung für die AnwohnerInnen ist damit nicht kalkulierbar.
Mehr zur Problematik des Freimessens findet sich in einer neuen Studie des BUND.
Erste unangenehme Erfahrungen haben die Menschen in und um das im Rückbau befindliche AKW Obrigheim gemacht. Hier sollen 99% des Rückbaumaterials freigegeben werden und auf Normalmülldeponien der Umgebung landen (PM der Initiative AtomErbe Obrigheim zur Freimessung). Für den HZG-Dialog ist das Thema „Freimessung“ noch über Jahre nicht dran – es wird dann aber sicher eines der prägenden Diskussionsthemen sein.
5. Endlagerung
Und dann – ab ins Endlager?
Die HZG muss die Behälter mit Atommüll in der Transportbereitstellungshalle so lange lagern, bis das Bundesamt für Strahlenschutz den Abtransport anordnet. Die Entscheidung, wie lange der Atommüll in der Transportbereitstellungshalle verbleibt, liegt also nicht beim HZG. Der Begriff „Transportbereitstellungshalle“ erweckt dabei bewusst den Eindruck, dass es sich hierbei um kurze Zeiträume handelt, um zu verschleiern, dass daraus auch mal schnell Jahre oder Jahrzehnte werden können. Als Endlager vorgesehen ist der „Schacht Konrad“. In dem ehemaligen Erzbergwerk bei Salzgitter wurde der Erzabbau 1976 schon nach 10 Jahren aus Kostengründen eingestellt. Auf der Suche nach neuen Optionen kam damals unter anderem der Betriebsrat auf die Idee, man könne das Bergwerk als Lagerungsstätte für Problemabfälle nutzen und ausbauen. Es begannen unter Leitung der bundeseigenen Gesellschaft für Strahlenschutz Erkundungsarbeiten für die Eignung der Grube als Endlager für schwachradioaktive Abfälle und Großkomponenten aus dem Abriss von Atomkraftwerken.
Von Beginn an wurde die Erkundung von Protesten aus der Bevölkerung begleitet. Im Juni 2002 wurden dann, trotz aller geäußerten Bedenken, der Planfeststellungsbeschluss erteilt, ohne das z.B. die Frage der Risiken durch die entstehenden Atomtransporte berücksichtigt wurden. Eine Klage der Stadt Salzgitter, der Gemeinden Vechelde und Lengede sowie einer Landwirtsfamilie gegen die Genehmigung wurde vom Bundesverfassungsgericht im Februar 2008 abgelehnt.
Der Kritik am Auswahlverfahren und der Eignung des Schachtes für die Atommülllagerung hat dies keinen Abbruch getan. Im Februar 2013 formuliert die niedersächsische Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag: „Für die rot-grüne Koalition steht daher fest, dass gravierende Fehler insbesondere bei der wissenschaftlichen Analyse, den defizitären Sicherheitskriterien und der mangelnden Bürgerbeteiligung tiefgreifende und langfristige schädigende Auswirkungen haben können.“ Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel fordert genau wie die Stadt Salzgitter, die dortige IG Metall (mit vielen Tausend Beschäftigten bei VW, den dortigen Stahlwerken etc.), dem Verein Landvolk Braunschweiger Land und der Bürgerinitiative AG Schacht KONRAD, dass sich die Kommission für die Auswahl eines Bundesendlagers für hochradioaktiven Atommüll auch um die Problematik der Lagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll kümmern solle und damit der „Schacht Konrad“ erneut auf den Prüfstand kommt. Wir als LAgAtom schließen uns, mit anderen Initiativen aus der Begleitgruppe, dieser Forderung an. Es kann auch für die Menschen an den Standorten, mit Atomanlagen im Rückbau, nicht heißen „aus den Augen aus dem Sinn„. Wir tragen auch Verantwortung für die Orte, an denen der Atommüll dann landen soll.
Infos: www.ag-schacht-konrad.de
Aber auch ohne diese eher politischen, genehmigungsrechtlichen Probleme wirft das Konzept „Schacht Konrad“ für die Begleitgruppe folgende wesentlichen Fragen auf: Ursprünglich war die Inbetriebnahme für 2014 geplant. Doch immer wieder stießen die Betreiber bei den Ausbaumaßnahmen auf unerwartete technische Probleme. Aufgrund „erheblichen Sanierungsbedarfs bei den Schächten und der Hauptstrecke unter Tage“ bestätigte das Bundesumweltministerium im Mai 2013 eine Verzögerung bis mindestens 2021. Als neuen berechneten Termin für die Inbetriebnahme des Endlagers hat die DBE das Jahr 2022 angegeben. Dieser Termin sei nach Einschätzung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) jedoch mit Unsicherheiten behaftet. Und selbst wenn es ein Endlager geben wird, ist mit erheblichen logistischen Verzögerungen zu rechnen, denn alle Standorte wollen ihren Atommüll loswerden und mindestens für die staatlichen Einrichtungen muss vom BUND das Geld zur Verfügung gestellt werden. Dass Geesthacht dann als Erstes dran ist, bezweifeln wir. Die Begleitgruppe geht daher von einer jahrelangen, ja eventuell sogar jahrzehntelangen Lagerung der Atommüllbehälter in der so genannten Transportbereitstellungshalle aus. Wir fordern ein Höchstmaß an Sicherungs- und Überwachungsmaßnahmen, um eine Gefährdung auch bei solch langen Lagerungsdauern auszuschließen. Die HZG reagiert bisher auf diese Forderung mit der Aussage, man stelle bei allen Vorhaben die Sicherheit an erste Stelle, das Forschungszentrum werde für einen maximalen Schutz der Mitarbeiter und Bevölkerung sorgen.
Stand 28.09.2014