Keine Diskussion über Atommüll(end-)lagerung solange nicht die letzte Atomanlage abgeschaltet ist! Das war lange Zeit der Standpunkt der Anti-AKW-Bewegung. Und diese Grundforderung bleibt bestehen, denn wie kann man in der Atommülldebatte zu einem Schluss kommen, wenn man täglich neuen Müll produziert.
Dennoch stehen schon jetzt an vielen Standorten, an denen sich Reaktoren in der endgültigen Abschaltung oder schon in der Stilllegungsphase befinden, die Anti-Atom-Initiativen vor der Frage, wie positionieren wir uns zu dem jetzt vor Ort anfallenden Strahlenmüll des Rückbaus.
An manchen Standorten werden jetzt Auseinandersetzungen geführt, die auch für andere Standorte später von Bedeutung sein werden. So klagt die Initiative Atomerbe Obrigheim gerade gegen die Pläne, im dortigen AKW bereits mit den Abrissarbeiten zu beginnen, bevor das AKW kernbrennstofffrei ist. Sind solche Initiativen erfolgreich, hat das auch Konsequenzen für spätere Stilllegungen an andren Standorten (Infos zu Obrigheim und die Möglichkeit die Initiative Atomerbe Obrigheim finanzielle zu unterstützen finden ihr hier).
Als LüneburgerInnen haben wir zwei Reaktoren quasi vor der Haustür. Das Vattenfall AKW Krümmel und den Forschungsreaktor der HZG (vormals GKSS). Im Gegensatz zu allen andern Stilllegungsverfahren setzt die HZG hier auf eine frühzeitige und weitreichende BürgerInnenbeteiligung und hat dabei die Initiativen vor Ort zu einer Begleitgruppe eingeladen. Daran nimmt auch Lagatom teil.
Im Rahmen des Dialogs geht es sowohl um die Stilllegung des Forschungsreaktors der HZG, der Heißen Zellen und den Rückbau des Reaktors des atombetriebenen Schiffes Otto-Hahn, der in Geesthacht ruht, als auch um die Aufarbeitung der Geschichte.
Der ursprüngliche Plan der HZG war, bereits im November den Antrag auf Stilllegung und sofortigen Rückbau bei der Atomaufsichtsbehörde zu stellen. Auf Drängen der Begleitgruppe wurde der Antrag zurück gestellt und zunächst am 15. Januar eine öffentliche Veranstaltung zu diesem Antrag organisiert. Im Fokus standen dabei die möglichen Rückbau-Varianten, der von der HZG befürwortete sofortige Rückbau und der sichere Einschluss. Vor rund 80 ZuschauerInnen legte zunächst der Reaktorleiter Peter Schreiner seine Pläne vor (vortrag_schreiner_). Er erläuterte grundlegend das Genehmigungsverfahren und stellte die Abbaufolge beim „sofortigen Rückbau“ und die prognostizierten Müllmengen und „Ent“- sorgungswege dar.
Insgesamt werden 55.000 Tonnen Müll und Schutt anfallen. Davon werden laut HZG Prognose 300 Tonnen als radioaktiver Abfall zu behandeln sein. Da die Anlage brennstofffrei ist (ein Vorteil gegenüber Obrigheim), wird es sich dabei „nur“ um schwach- und mittelradioaktiven Müll handeln. Die HZG will diesen Müll in Fässern und Mosaikbehältern in einer „Transportbereitstellungshalle“, der ehemaligen Halle für die Forschungsprojekte in unmittelbarer Nähe des Reaktors, lagern bis sie dann, auf Aufforderung des Bundeamtes für Strahlenschutz in das dann vielleicht existierende Bundesendlager Schacht Konrad gehen.
Lagatom lehnt wie alle anderen Anti-Atom-Initiativen die Pläne zum Schacht Konrad ab. Wir fordern eine Gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, wo und wie Atommüll „End“-gelagert werden soll und eine daraus resultierende neu Suche nach Standorten ohne Einbeziehung Gorlebens und Konrads (Infos Argumente gegen den Standort bei AG Schacht Konrad). Im Rahmen des Dialoges muss man einräumen, dass hier nicht die HZG sondern das Bundesamt bzw die Bundesregierung Entscheiderin und Adressatin für unsere Forderungen ist.
Anschließend nahm Wolfgang Neumann vom Intac-Büro Hannover, der von der Begleitgruppe als kritischer Fachmann ausgewählt wurde, Stellung (Vortrag Wolfgang Neumann).
Basierend auf dem Vortrag des Reaktorleiters und dem Entwurf des Antrages auf Stilllegung kam er zu dem Schluss, dass der Genehmigungsantrag nachvollziehbar ist und die üblichen und wesentlichen Angaben enthält. Auch seien die genannten Argumente für den sofortigen Rückbau nachvollziehbar und richtig. Er machte aber auch deutlich, dass es auch Argumente für einen sicheren Einschluss gibt und dass aus dem Antrag nicht hervorgeht, wie hier abgewogen wurde. Hier ist eine eingehende Prüfung notwendig.
Zudem stellte er die Zeitplanung für den Abtransport des Mülls stark in Frage. Selbst wenn Schacht Konrad in Betrieb gehen sollte, werden die Behälter noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte länger in der Transportbereitstellungshalle stehen. Die dann faktisch zum Zwischenlager wird. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob diese Halle und die dort geplante Lagerung auch über längere Zeiträume den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen.
Als weitere Problemfelder zeigte Neumann die geplante Externe Konditionierung (Verbrennung und Eindampfung z.B. in Duisburg oder Jülich) auf. Neben den von Neumann genannten Risken der notwendigen Atomtransporte stellt sich für Anti-Atom-Initiativen die Frage , ob wir ernstlich einen Transport z.B. in Anlagen wie die der GNS in Duisburg befürworten können, wenn die Menschen dort durch die Konditionierung mitten im Wohngebiet, z.B. ist in 400 Meter Entfernung ein Kindergarten, gefährdet werden (weiter Infos zu Duisburg) steht.
Auch die Freimessung wird ein Hauptthema des Dialogprozesses sein. Denn einerseits hatte sicherlich keiner Bedenken dagegen, dass der Beton des Bürogebäudes auf die Bauschuttdeponie kommt. Andererseits gelangen hier hin auch, aufgrund der deutlich zu hohen Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung, Schuttreste, die nach Einschätzung kritischer Stimmen (IPPNW) ein deutliches Gesundheitsrisiko bedeuten. Dies gilt im Besonderen, da aufgrund der vielen anstehenden AKW Rückbauten in den kommenden Jahren große Mengen „freigemessen“ werden und in die Landschaft gelangen.
Im Nachlauf der Öffentlichen Veranstaltung gab es ein weiteres Treffen der Begleitgruppe mit der HZG und Herrn Neumann. Gemeinsam mit diesem wurden Fragen formuliert, unter deren Blickwinkel er die Planungsunterlagen gründlich prüfen soll.
Insbesondere geht es dabei um:
- Ist die Entscheidung für den Rückbau, die Risikoabwägung und das Vorgehen der HZG plausibel und schlüssig?
- Was sind Schadensszenarien in den einzelnen Rückbauetappen?
- Wird Freisetzung so gering wie möglich gehalten? Müssen die im Antrag genannten Genehmigungswerte so hoch sein oder wären sie über andere Verfahren reduzierbar?
- Wie sind die Freimessung und die Freigabe-Pfade auch unter Berücksichtigung „atomkritischer“ Sicht zu bewerten? Könnte das HZG mehr tun als es vorhat?
- Sind Sicherheitsanforderungen an längerfristige Zwischenlagerung (10 + x Jahre) erfüllt (Schadensszenarien, Behältertypen, Sicherheit gegen Flugzeugabstürze)? Welche Faktoren würden die Sicherheit erhöhen?
- Gäbe es durch eine Kooperation mit Krümmel/Vattenfall Risikoverringerung?
- Gibt es Alternativen zur externen Konditionierung?
Am 20. Januar soll er der Begleitgruppe Bericht erstatten. Dann wird es in diesem Dialogprozess spannend. Die HZG hat angekündigt, Änderungsforderungen aus der Begleitgruppe zu berücksichtigen und den Antrag gegebenenfalls zu überarbeiten. Das bisherige Auftreten des HZGs lässt darauf hoffen, dass das keine leeren Versprechungen sind. Ob es dann so bleibt, wenn es vielleicht auch an manchen Stellen ans „Eingemachte“ geht, wird sich zeigen Wir sind gespannt und werden über das weitere Vorankommen im Dialog berichten.