Mit dem anstehenden Beteiligungsverfahren in der Suche nach einem Endlager für den Hochradioaktiven Atommüll stellt sich bundesweit die Frage nach den Rahmenbedingungen für ein Format, das den Namen Beteilgung auch verdient.
LAgAtom ist seit inzwischen acht Jahren Teil der Begleitgruppe zum Rückbau der Atomforschungsanlagen des HZG. Auch wenn vom „kleinen“ Rückbau eines Forschungsreaktors der Sprund zur „großen“ Endlagersuche sehr weit ist, kann unsere Erfahrung vielleicht eine Denkanstoß geben.
Wir veröffentlichen daher hier ein Interview mit Bernd Redecker von LAgAtom, das im Original in “ Spektrum der Mediation Ausgabe 81 /3.Quartal 2020 / Verantwortung. Auf die Plätze – fertig – los?!“ erschienen ist Hier als PDF.
Scheinebeteiligung oder Chance
Zum verantwortungsvollen Einstieg in Beteiligungsprozesse
Spektrum der Mediation (SdM): Herr Redecker, welche Erfahrungen haben Sie mit mediativen Verfahren?
Bernd Redecker (BR): Ich beteilige mich seit 2012 am HZG-Dialog. Das Helmholtz-Zentrum Geesthacht hat am Ort bis 2010 höchst umstrittene Atomforschung betrieben. Mit der Entscheidung, sich davon zu verabschieden und die Anlage stillzulegen, ging auch ein Wechsel in der Kommunikation mit Anwohner*innen und kritischen Bürger*innen-Initiativen einher. In einem Begleitprozess mit externer Mediation möchte der Betreiber für den Rückbau der Anlagen nun konsensuale Lösungen finden.
Ich bin seit rund dreißig Jahren in lokalen Anti-Atom-Initiativen aktiv. In den HZG-Dialog bin ich als Vertreter des Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom eingestiegen. Für die Begleitgruppe zum Rückbau der Atomforschungsanlagen bin ich einer der beiden Sprecher.
SdM: Was haben derartige Mediations-/ Dialogverfahren für Sie mit dem Thema Verantwortung zu tun?
BR: In der Anti-Atom-Bewegung gab es über Jahrzehnte eine Grundvereinbarung, die ich auch weiterhin für richtig halte: »Solange nicht das letzte AKW abgeschaltet ist, unterhalten wir uns nicht über die Lösung des Entsorgungsproblems. «
Gleichzeitig ist der gesellschaftliche Konflikt in rund 50 Jahren Atomspaltung in Deutschland geprägt durch Diffamierung von Kritiker*innen sowie Lügen und Vertuschungen bei Störfällen. Exemplarisch sei hier nur die Verklappung von Atomabfällen im Salzbergwerk ASSE II genannt, die nun mit großer Mühe geborgen werden müssen, oder die jahrelange Verheimlichung eines schweren Störfalls in einem Versuchsreaktor in Jülich.
Das wirft grundsätzlich die Frage auf, was mit dem Einstieg in ein Mediationsverfahren zu gewinnen ist. Baut das gleiche Unternehmen, mit dem ich hier am Tisch sitze, an einem anderen Ort neue Atomanlagen? Warum sollte es jetzt ehrlich und transparent zugehen.
Einerseits könnte man fragen: Warum sollten Bürger*innen überhaupt Verantwortung für genau den Atommüll übernehmen, gegen dessen Entstehung sie vorher gekämpft haben – also quasi Mitverantwortung übernehmen für ein Problem, das andere geschaffen haben.
Andererseits sehe ich schon eine Verantwortung »unserer« Generation für die Atommüllproblematik. Weder kann man den Rückbau der Anlagen auf »später« verschieben, noch sollte man »die Betreiber« da einfach so machen lassen.
Ein ganz anderer Aspekt der Verantwortung, nämlich der der Delegation, war mir beim Einstieg in den Dialog gar nicht klar. Mit der Entscheidung der Bundesregierung, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima zumindest mittelfristig aus der Atomkraft auszusteigen, hat sich der Fokus der Bevölkerung verschoben. Das bedeutet nicht, dass ich da plötzlich eine »pro Atomkraft Stimmung« wahrnehme, dagegen sprechen ja auch alle Umfragen. Aber Menschen, die bereit sind, sich sozial- und umweltpolitisch einzumischen, machen das nun eher bei anderen Themen. Das Thema Atomausstieg scheint gut »geparkt« bei den einschlägigen Bürger*innen-Initiativen. In denen engagieren sich aber immer weniger Menschen. Das heißt, der ursprüngliche Gedanke eines anderen Demokratieverständnisses, in dem Verantwortung von vielen übernommen wird, verschiebt sich hin zu einer Verantwortungsdelegation auf »Bewegungsexpert*innen«. Der Satz, »gut, dass ihr euch weiter um das Thema kümmert«, bekommt da einen seltsamen Beiklang.
SdM: Warum denken Sie überhaupt darüber nach, sich auf mediative Verfahren einzulassen? Was gibt es hier (gesamtgesellschaftlich) zu gewinnen?
BR: Ich persönlich finde schon das Experiment, zwei so konträre Lager wie die Atomindustrie und die Anti- Atom-Bewegung an einen Tisch zu bekommen, spannend.
Dann habe ich natürlich die Hoffnung, dass über die Beteiligung von kritischen Bürger*innen ein Mehr an Sicherheit beim Rückbau von Atomanlagen und beim Umgang mit Atommüll zu gewinnen ist.
Gesamtgesellschaftlich sehe ich hier eine Chance, Standards für eine echte Beteiligung von Anwohner*innen zu setzen. Die Rückmeldungen, die wir von Gruppen an anderen Rückbaustandorten erhalten, geben uns dabei Recht. Für den Forschungsreaktor in Berlin Wannsee gibt es inzwischen eine ähnliche Begleitgruppe. An anderen Orten werden die Pseudobeteiligungen, die von Betreiberseite angeboten werden, vor dem Beispiel Geesthacht kritisch gespiegelt.
SdM: Was sind spezifische Herausforderungen und (nicht vollständig auflösbare) Dilemmata solcher Verfahren?
BR: Ich komme auch hier zunächst auf den Grundkonflikt. Wenn man über Jahrzehnte sich quasi »am Bauzaun gegenübersteht«, resultieren daraus Kränkungen und Verletzungen, die fernab von allen inhaltlichen Argumenten liegen. Auf »unserer« Seite kommt ein (begründetes) Misstrauen hinzu, dass man belogen und missbraucht wird. Auf »Betreiberseite « gibt es die Sorge, dass man Informationen preisgibt, die dann aus dem Zusammenhang gerissen auf Umwegen in die Presse gelangen.
Erschwerend treffen hier unterschiedliche Welten mit unterschiedlichen »Wordings « aufeinander. Umweltbewegung und Atomtechnik benutzen jeweils ihr eigenes Vokabular. Manche Begriffe sind dabei emotional aufgeladen.
Ich mache das am Begriff der »Grünen Wiese« deutlich. Von Behörden und Betreiberseite wird diese gerne als Zukunftsvision in den politischen Raum gestellt. Das suggeriert, dass man zeitnah wieder den Zustand vor dem Bau der Atomanlage herstellen könnte. Das Bild lässt aber außer Acht, dass Atomforschung und Atomstromproduktion Müll hinterlassen hat, der über Hundertausende von Jahren strahlen wird. Der Ursprungszustand ist also gar nicht wieder herstellbar. Zudem gibt es immer noch keine tragfähige Idee, wo der Atommüll am »Ende« sicher landen kann. Neben der »Grünen Wiese« wird also noch lange ein Atommüllzwischenlager stehen.
Wir haben in Geesthacht sicher das erste Jahr gebraucht, um eine gemeinsame Sprache und Kommunikationskultur des Zuhörens zu finden. In der Zeit haben wir uns zwar auch mit inhaltlichen Themen beschäftigt, aber vor allem mit der Erstellung einer Vereinbarung der Zusammenarbeit inklusive eines Selbstverständnisses. Diese Zeit war aber gut investiert und bildet jetzt die Basis der Gesprächskultur.
Eine zweite Herausforderung kann man unter dem Begriff »Ressource« zusammenfassen. Auf der einen Seite sitzen da Hauptamtliche mit einem Etat, auf den sie zurückgreifen können, einer Rechtsabteilung, einer Pressestelle und einem Pool von Schreibkräften. Auf der anderen Seite sind Menschen, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit engagieren. Besonders dringend ist da die Möglichkeit, sich externe Fachexpertise einkaufen zu können. Bisher war es immer machbar, sich diesbezüglich zu einigen: Die Begleitgruppe hat einen Gutachter oder eine Gutachterin vorgeschlagen und HZG hat gezahlt. Letztlich ist das aber eine Frage von Good Will. Wenn sich HZG hier irgendwann anders entscheiden würde, wäre die Begleitgruppe machtlos.
Hinzu kommt, dass es ja auch noch einen gesetzlichen Rahmen gibt. In dem kommen wir gar nicht als Akteure vor. Es gibt also keinen verbindlichen Kontakt zwischen uns und z. B. der Genehmigungsbehörde. Wir sind für die Erlangung von Informationen auf den Betreiber angewiesen. Wenn der uns nicht verständigt, dass es z. B. bilaterale Gespräche zwischen Betreiber und Behörde gibt, bekommen wir gar nichts mit.
SdM: Wann kann eine derartige Mediation gelingen? Was sind notwendige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen?
BR: Die allererste Frage ist die nach den Teilnehmer*innen am Dialog. Wer darf mit an den Tisch? Wenn diese Frage vom Betreiber oder der jeweiligen Behörde entschieden wird, ist damit schon ein Machtgefälle gegeben. Schnell können so auch unbequeme oder kritische Menschen ausgeschlossen werden. Das heißt, wer mitreden möchte, muss auch mitreden können.
Das Gleiche gilt im Prinzip auch für die Tagesordnung. Auch hier darf es kein Machtungleichgewicht geben. Über die Themensetzung muss meiner Meinung nach die gesamte Gruppe entscheiden.
Eine weitere zentrale Rahmenbedingung finde ich, dass es eine externe Moderation gibt, die von beiden Seiten als allparteilich akzeptiert wird.
Dann müssen die eigentlichen Entscheidungsträger mit am Tisch sitzen. Eine im Konsens erzielte Lösung, die dann von der Konzernspitze, die vielleicht nicht mal am Ort sitzt, gekippt werden kann, bringt nichts.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Umgang mit den Medien. Wir haben uns im HZG-Dialog entschieden, dass wir unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprechen. Das heißt nicht, dass der Kreis geschlossen ist. Im Laufe der Jahre sind immer wieder mal neue Menschen zum Dialog dazu gestoßen. Aber es sitzt keine Presse mit im Raum, die zuhört. So kann man offen reden, ohne dass am nächsten Tag seltsame Schlagzeilen in der Zeitung stehen. Pressearbeit machen wir gemeinsam im Konsens – und wenn wir einen Dissens haben, ist es uns bisher in Newslettern immer gelungen, beide Sichtweisen darzustellen.
Entscheidend ist aus meiner Sicht nicht zuletzt der Faktor Zeit. Ich habe ja deutlich gemacht, wie weit die Konfliktparteien schon rein mit Blick auf ihr Vokabular auseinander waren. Wenn ich auch nur ansatzweise in ein Stadium kommen will, dass sich beide Seiten gegenseitig zuhören und die Argumente des Anderen zumindest verstehen, wenn auch nicht teilen, dauert das einfach. Mit schneller Ergebnisorientierung geht es nicht.
SdM: Wie finden Sie heraus, ob diese Voraussetzungen wirklich gegeben sind?
BR: Für den HZG-Dialog haben wir uns sehr zögerlich eingelassen. Die Vorbehalte der Anti-Atom-Bewegung habe ich ja schon beschrieben. Des- halb war es für uns gut, dass zunächst eine Vorbegleitgruppe vorgeschaltet war. Deren Aufgabe war es, zunächst zu klären, ob es überhaupt eine Basis gibt und einen Rahmen, in den man vertrauensvoll einsteigen kann.
Im ersten gemeinsamen Treffen wurden uns die Antragsunterlagen präsentiert, die der Betreiber quasi in der kommenden Woche einreichen wollte. Wir haben dann gefordert, dass wir uns damit zunächst mit externer gutachterlicher Unterstützung intensiv beschäftigen wollen. In der Konsequenz hieß das, dass der Antrag zurückgestellt und erst gut fünf Monate später eingereicht wurde. Die Bereitschaft dazu war für uns und auch andere Initiativen das Signal, dass es hier um ein ernstzunehmendes Beteiligungsangebot geht und nicht nur um eine bunte Infoveranstaltung der PR-Abteilung.
SdM: Wann und warum sag(t)en Sie NEIN zu Beteiligungsanfragen?
BR: Die erste Frage, die man sich aus meiner Sicht stellen muss, ist die des »bestmöglichen Ergebnisses«: Kann da überhaupt etwas Positives entstehen. Ich mache das mal an einem anderen Atomprojekt deutlich. Die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung hat im Februar bekannt gegeben, dass sie auf dem Gelände des stillgelegten Atomkraftwerkes Würgassen ein Logistikzentrum für Atommüll errichten will. Hier soll ein Drehkreuz für den gesamten deutschen Atommüll entstehen. Ohne hier auf die Details einzugehen, lehnen alle Umweltverbände diese Pläne ab. Die Kritikpunkte betreffen standortunabhängig das Gesamtkonzept. Höhere Sicherheitsstandards würden hieran auch nichts verändern.
Wenn aber bereits am Anfang klar ist, dass nur die Null-Lösung akzeptabel ist, brauche ich mich gar nicht auf ein konsensorientiertes Beteiligungsverfahren einlassen. Dann setze ich als Bürger*innen-Initiative kostbare Zeit und Ressourcen lieber da ein, wo ich etwas erreichen kann, im Widerstand auf der Straße oder in den juristischen Weg.
Die zweite Frage ist die nach der »Wirkmächtigkeit « im Verfahren. Geht es hier überhaupt um Beteiligung oder »nur« um Information.
Auch hierzu ein Beispiel: Am Standort Geesthacht gibt es auch das Atomkraftwerk Krümmel, das sich ebenfalls im Genehmigungsverfahren für den Rückbau befindet. Hier sah sich der Betreiber im Zugzwang durch den dialogbereiten Nachbarn HZG. Etwa drei Jahre nach Start des HZG-Dialogs bekamen wir als Bürger* innen-Initiative auch hier eine Einladung für ein Forum. Der Betreiber hatte sich aber ein anderes Konzept überlegt: Die Teilnehmer*innen sind handverlesen, die Moderation übernimmt der PR-Chef des Atomkraftwerkes und am Tisch sitzen nur die lokalen Entscheider. Uns wurde ein »Sitz« in dieser Runde angeboten. Wir haben damals zunächst nicht ablehnend reagiert, aber gefordert, dass wir zumindest für die ersten Treffen mit mehreren Vertreter* innen kommen können, um dann gemeinsam für oder gegen die Teilnahme entscheiden zu können. Außerdem hatten wir als Grundvoraussetzung eine Öffnung für alle Interessierten gefordert. Auf unsere Rückmeldung wurde zunächst inhaltlich gar nicht geantwortet. Nach mehrmaliger Nachfrage zu den Gründen hieß es dann »man habe sich für das geschlossen Format entschieden und wenn man sich einmal für etwas entschieden habe, dann bleibe man auch dabei«.
Das war dann für uns der Punkt, nicht einzusteigen. Wenn schon bei den Rahmenbedingungen keine Diskussionsbereitschaft da ist, wie kann dann ein Konsens bei inhaltlichen Konfliktthemen entstehen? Über allem schwebt ja immer die Sorge, sich auf eine Scheinbeteiligung einzulassen, die viele Ressourcen bindet, während die eigentlichen Entscheidungen woanders gefällt werden.
SdM: Welche Anforderungen bzw. Wünsche stellen/haben Sie an Mediator* innen in derartigen Verfahren?
BR: Ich glaube, der entscheidende Punkt für die Mediator*innen ist das Einhalten der Allparteilichkeit. Das ist teilweise schwierig, denn es gibt hier auch ein Abhängigkeitsverhältnis, schließlich haben die Mediator* innen ein legitimes Interesse, Geld zu verdienen.
Zusätzlich braucht es ein gutes Gespür für Scheinbeteiligung: Wo geht es wirklich um konsensualen Verhandlungsspielraum und wo um reine Information ohne Einflussmöglichkeit?
Und zuletzt ist ein guter systemischer Blick dafür notwendig, ob überhaupt alle Player mit am Tisch sitzen. Im HZG-Dialog hatten wir an einzelnen Stellen die Situation, dass die Genehmigungsbehörde Dinge untersagte, auf die man sich zuvor mühevoll geeinigt hat. In dem Zusammenhang ist es auch immer wieder wichtig, Entscheidungsspielräume und deren Grenzen transparent darzustellen.