Seit gut fünf Monate wird in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert.
Vielleicht habt ihr es gemerkt, das Licht ist nicht ausgegangen, die Strompreise sind gesunken und, wenn man mit dem Ohr ganz dicht an die Steckdose kommt, kann man nun den sanften Hauch der Windkraft spüren.
Dennoch werden die Stimmen nicht leiser, die ein Wiederanfahren der Atomkraftwerke fordern.
Dabei ist das weder technisch noch rechtlich möglich … und schon gar nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Außerdem zeigen die frischen Quartalszahlen zur deutschen Stromeinspeisung: Wind und Solar haben den Atomstrom längst ersetzt.
Die Versorgungslage
Die Kapazität an erneuerbarer Kraftwerksleistung in Deutschland hat sich im 1. Halbjahr 2023 um 7,8 GW erhöht. Das ist fast das Doppelte der Kapazität der drei im April abgeschalteten Atomkraftwerke.
Kritiker*innen würden an der Stelle anfügen, dass die installierte Kapazität bei Dunkelflaute keine Rolle spielt. Aber auch bei der realen Stromproduktion bzw. der Einspeisung in Deutschland gab es vom 3. Quartal 2022 zum 3. Quartal 2023 eine positive Entwicklung: der Anteil der Erneuerbaren stieg von 44,4 % auf 64,1 %.
Der Zuwachs an erneuerbarem Strom, der in Deutschland produziert wurde (9,7 TWh), ersetzt damit den, im 3. Quartal 2022 eingespeisten, Atomstrom (8,7 TWh) vollständig.
In der öffentlichen Berichterstattung findet diese positive Entwicklung kaum Beachtung, stattdessen wird auf die gestiegenen Stromimporte verwiesen. In der Import/Export-Bilanz gibt es tatsächlich einen Anstieg. Die Importe sind aber nicht gestiegen, weil Deutschland weniger Kraftwerkskapazität hat (siehe Tab 1), sondern weil im Europäischen Stromnetz ein Überschuss an günstigem nicht-fossilem Strom vorhanden ist. Diese Importe hätte es vermutlich auch bei Weiterlaufen der AKW gegeben.
Zusätzlich zum dem, durch Erneuerbare ersetzten Atomstrom, wurden im 3. Quartal 2023 im Verhältnis zum Vorjahresquartal auch 22,1 TWh weniger an fossilem Strom eingespeist. Dieses war durch Strom aus Wind- und Solaranlagen in Deutschland (1,0 TWh) und Stromeinsparungen (11,1 TWh) möglich. Dazu kamen 10,0 TWh an importiertem Strom. Aus welchen Energiequellen dieser stammt, lässt sich nur schwer nachvollziehen. In den zugänglichen Auswertungen wird deshalb davon ausgegangen, dass die Importe dem Strommix des jeweiligen Herkunftslandes entsprechen. Es stammte damit zusätzlich zur Deutschen Einspeisung ein gutes Drittel der Importe aus Wind- und Solaranlagen.
Damit wäre die erste Frage beantwortet: Die Erneuerbaren haben den Atomstrom ersetzt!
Die zweite Frage, vor dem Hintergrund der Forderungen unter anderem aus dem Bayrischen Wahlkampf, ist die nach dem Realitätsbezug von Wiederanschaltplänen.
Die Situation an den Atomanlagen
Das Personal
Bereits 2018 gab es Stimmen aus den Reihen der Energieversorger, die darauf hingewiesen haben, dass man sich mit der Personalplanung auf das Abschalten der letzten AKW zum Ende 2022 einstelle.
Das hat die Groko damals nicht zum Anlass für eine Planänderung beeinflusst. Damit war eine Grundsatzentscheidung gefallen. Zur Einordnung: im Rahmen der Erörterungen rund um den Rückbau des AKW Krümmel hat der Betreiber angegeben, dass man mit dem Ende des Leistungsbetriebes die Zahl der Mitarbeiter*innen um etwa 1/3 reduziert hat. Der „Streckbetrieb“ Anfang diesen Jahres war nur möglich, weil Fachleute später in Rente gegangen sind.
Die Brennelemente
Nach Angaben der Betreiber und des Bundesamtes für die Sicherheit in der Nuklearen Entsorgung müssen Brennelemente mit 1 ½ Jahren Vorlauf bestellt werden. Stimmen aus der CDU/CSU haben ohne Angabe von Quellen daraus 12 Monate gemacht. Egal ob das stimmt oder nicht: Selbst wenn man heute eine Wiedereinstieg beschließen würde, wäre ein Wiederanfahren vor Halloween 2024 unrealistisch. Gelichzeitig müssten die Rückbaumaßnahmen aber unterbrochen werden. Damit wären immense Entschädigungszahlungen an die Betreiber verbunden. Alleine die bis Mitte April verlängerte Laufzeit für das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 und die Umplanungen beim Rückbau haben den Betreiber EnBW einen Betrag im unteren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich gekostet.
Das Genehmigungsrecht
Das Atomgesetz hat für alle ehemaligen Atomkraftwerke ein festes Ablaufdatum festgelegt. Damit erlischt die Genehmigung für den Leistungsbetrieb. Die Betreiber müssen nun einen Antrag auf Stilllegung und Abbau stellen. Solange der bearbeitet wird, befinden sich die Anlagen im Nachbetrieb und das Regelwerk aus dem Leistungsbetrieb gilt weiter. Mit Erteilung der Stilllegungs- und Abbaugenehmigung (SAG) erlischt die alte Betriebsgenehmigung und ein neues Regelwerk tritt in Kraft.
Bei Atomanlagen mit einer SAG wäre für das Wiederanfahren eine Neugenehmigung notwendig. Für das Zwischenstadium (Nachbetrieb) ist das rechtlich strittig. Anwält*innen, die die Umweltverbände beraten, gehen davon aus, dass auch für diese Anlagen eine Neugenehmigung fällig wäre.
Als Konsequenz aus der Reaktorkatstrophe in Fukushima wurden 2012 europaweit die Sicherheitsanforderungen an Atomanlagen erhöht. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat das auch in deutsches Recht umgesetzt, aber entschieden, dass mit dem Ausstiegsbeschluss die Alt-AKW nicht nachgerüstet werden müssen. Keines der abgeschalteten AKW entsprach den neuen Sicherheitsanforderungen, keines wäre heute genehmigungsfähig.
Für alle jemals in Deutschland betriebenen AKW ist der Rückbauantrag gestellt. Nur bei Krümmel, Grohnde, Brokdorf, Emsland und Isar II gibt es noch keine Genehmigungen. Allen anderen befinden sich im Rückbau und sind damit selbst bei Atomfreundlicher Rechtsauslegung nicht mehr in Betrieb zu nehmen.
Für Krümmel, Grohnde und Isar II wird die Genehmigung Ende 2023 erwartet, bei den AKW Brokdorf und Emsland Ende 2024.
Die Rückbaurealität
Sobald die SAG vorliegt, beginnen die Betreiber unmittelbar mit den Rückbaumaßnahmen. Der Hintergrund ist hier in der finanziellen Regelung zu suchen: Den Rückbau zahlen die Betreiber, sobald der Atommüll in den Endlagerbehältern ist, werden die Kosten aus dem staatlichen Entsorgungsfond getragen. Es gibt also ein großes Interesse von EON und co., zügig in den Rückbau zu gehen.
Anfang März reagiert dann auch EON irritiert auf die Aussage von Herrn Dobrindt, man könne das AKW Gundremmingen wieder anfahren. Der Reaktorleiter gab damals an, zu Beginn des letzten Jahres sei diese technisch noch möglich gewesen, ein Jahr nach der Erteilung der SAG seien aber schon irreversible Rückbauschritte gelaufen.
Gleiches gilt für alle anderen AKW mit Rückbaugenehmigung, inklusive des, im April abgeschalteten, AKW Neckarwestheim II. Das AKW Krümmel hat hier noch eine Sonderrolle. Es steht bereits seit 2009 still, hat zwar noch keine SAG. Es wurden aber im nicht-nuklearen Bereich Um- und Abbaumaßnahmen vorgenommen, die ein Wiederanfahren unmöglich machen.
Fazit
Ein Wiederanfahren der ehemaligen Atomkraftwerke ist technisch nur noch bei vier AKW möglich. Auch bei diesen ist es unklar, ob es rechtlich zulässig wäre. Es gäbe kein Personal und über lange Zeit keine Brennelemente. Die Betreiber könnten – mit Recht – hohe Entschädigungszahlungen für den Stillstandbetrieb einfordern. Alle Aussagen von Söder, Merz und co, sie würden nach der Bundestagswahl 2025 die AKW reaktivieren, sind reines Wahlkampfgetöse.
Und es ist auch gar nicht nötig, weil der Ausbau der Erneuerbaren besser läuft, als behauptet.
Allerdings muss man an der Stelle ein klares Ja-Aber zwischen schieben. Denn nicht jedes Windrad ist automatisch mit dem Natur- und Artenschutz kompatibel und auch die ungeregelte Ausbreitung von Freiflächen-PV-Anlage ist nicht in unserem Sinne. Gruppen wie LAgAtom haben schon immer auf einen Dreiklang gedrungen: Energiesparen, Energieeffiziens und Erneuerbare. Vor allem bei den ersten beiden Punkten braucht es mehr Augenmerk. Wie ein naturverträglicher Ausbau aussehen kann, zeigen Positionspapiere der Umwelt- und Naturschutzverbände, wie z.B. dem BUND Niedersachsen (Wind, Solar, Wind Offshore) auf.
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